Meinung | Neue Berlinale-Leitung - Eine Entscheidung, die Berlin und seinem Festival gut tun dürfte

Di. 12.12.23 | 16:37 Uhr | Von Knut Elstermann
Tricia Tuttle steht während ihrer Vorstellung als neue Leiterin der Berlinale im Gropius Bau. (Quelle: dpa/Gollnow)
Video: rbb24 Abendschau | 12.12.2023 | Philipp Höppner | Bild: dpa/Gollnow

Eine ganze Reihe von Namen waren für die Leitung der Berlinale gehandelt worden. Mit Tricia Tuttle hatte jedoch niemand gerechnet. Eine überraschende, aber gute Wahl, kommentiert Knut Elstermann.

Viele Namen waren im Vorfeld für die Leitung der Berlinale gehandelt worden, meist waren es regionale Filmgrößen, erfahrene Manager oder Kulturpolitiker. Doch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und die von ihr geleitete Findungskommission stellten mit der amerikanischen Filmwissenschaftlerin Tricia Tuttle eine überraschende Wahl vor. In Fachkreisen hat sie einen sehr guten Namen, doch ansonsten ist sie eine Unbekannte in Berlin.

Tuttle leitete fünf Jahre erfolgreich das BFI London Filmfestival, dem sie einen Publikumszuwachs bescherte, und ist zurzeit Head of Directing Fiction an der National Film and TV School UK, einer sehr renommierten Einrichtung. Insgesamt verfügt sie über 25-jährige Erfahrungen im Film- und Festivalgeschäft. Zum ersten Mal wird mit ihr eines der drei wichtigsten europäischen Filmfestivals alleine von einer Frau geleitet.

Ende der Doppelspitze

Mit Ticia Tuttles Arbeitsbeginn endet die Doppelspitze aus Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin und Carlo Chatrian als Künstlerischem Leiter. Eigentlich war das ein zeitgemäßes Modell, das auch andere große Festivals längst eingeführt haben. Sein Scheitern in Berlin hat wohl mit der fehlenden Harmonie zwischen den beiden Chefs zu tun, mit mangelnder Kooperation im Team und nicht mit der Konstruktion selbst.

Das erneute Verschmelzen beider Funktionen in die Machtfülle einer Intendanz bedeutet im Grunde einen Rückschritt, mit dem Claudia Roth allerdings die unbeliebte alte Leitung auf einen Schlag loswurde. Es wird für die neue Chefin sicher auf die richtige Wahl der Partnerinnen und Partner ankommen, um die anstehende Doppelbelastung mit künstlerischen und organisatorischen Aufgaben zu verteilen.

Tricia Tuttle wird die Intendanz am 1. April 2024 antreten. Die nächste Berlinale wird also noch vom alten Duo verantwortet. Die neue Chefin steht vor großen Herausforderungen. Sie muss das Festival neu positionieren in der immer stärker werdenden Konkurrenz mit Cannes und Venedig und den völlig veränderten Rezeptionsbedingungen von Filmen und Serien. Sie muss neue Geldquellen und Marketingstrategien finden, darin könnten ihre besonderen Fähigkeiten liegen.

Schlechte Kommunikation ein Grund für Krise der Berlinale

Zugleich muss sie verloren gegangenes Vertrauen in die Filmfestspiele wieder gewinnen. Die Krise der Berlinale war nicht zuletzt auch eine Krise der schlechten Kommunikation. Dem Künstlerischen Leiter Carlo Chatrian waren die Stadt Berlin, die Filmszene und das Publikum immer fremd geblieben. Seine Schwachstelle war keineswegs das Programm, das konsequent in der besten Berlinale-Tradition stand, mit anspruchsvollen internationalen Beiträgen, vor allem aus dem Arthouse-Bereich. Auch waren seine Startbedingungen, die Pandemie und der Ukraine-Krieg, denkbar ungünstig, was man fairerweise nicht vergessen sollte.

Doch die fehlende Verankerung seiner schwer zugänglichen Person, das offene Desinteresse am Umfeld, seine fehlende Profilierung haben dem Image der Berlinale Schaden zugefügt. Schon der erste Auftritt von Tricia Tuttle, ihre offene, herzliche Art, lassen hier erfreuliche Veränderungen erhoffen, eine neue Art der zugewandten Kommunikation, die Berlin und seinem Festival gut tun dürfte.

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.12.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Knut Elstermann

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