Berlinale-Filmtipp | "Our Body" (Forum) - Von der Geburt bis zum Tod

Fr. 17.02.23 | 19:37 Uhr | Von Fabian Wallmeier

Claire Simons neue Doku erzählt aus dem Arbeitsalltag einer gynäkologischen Klinik. Mit allem, was dazu gehört. Einfühlsam und klar beobachtet sie die Patient:innen und Ärzt:innen - und weitet den Blick dabei auf Größeres. Von Fabian Wallmeier

Eine 16-Jährige erzählt. Sie braucht ein bisschen Anlauf, um der Ärztin zu sagen, was sie will. Schildert ausführlich die Umstände, bis die Ärztin sie zu ihrem eigentlichen Anliegen leitet: Sie ist schwanger und will eine Abtreibung.

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Regisseurin Claire Simon (Quelle: Madison Films)
Madison Films

Claire Simon, geboren in London, drehte mehrere Kurz- und Dokumentarfilme, bevor sie 1997 ihren ersten abendfüllenden Spielfilm "Sinon, oui" realisierte Simon arbeitet als Regisseurin, Drehbuchautorin, als Kamerafrau und als Schauspielerin. Sie war wiederholt im Forum der Berlinale zu Gast, zuletzt 2018 mit "Premières solitudes".

"Our Body", der neueste Dokumentarfilm der Französin Claire Simon, zeigt den Arbeitsalltag in einer gynäkologischen Klinik. Sie begleitet vor allem Patient:innengespräche und zeigt einige Eingriffe und Behandlungen. Simon hat dabei ganz bewusst den Blick auf das Allumfassende des Themas: Sie schlägt den Bogen von der Geburt bis zum Tod und allem, was dazwischen passieren kann. Von der cis-männlich dominierten Gesellschaft beiseite geschobene Themen wie Endometriose und Regelschmerzen bekommen hier ebenso ihren Raum wie geschlechtsangleichende Operationen und medizinische Behandlungen. Einfühlsam und klar fragen die Ärzt:innen nach, einfühlsam und klar beobachtet Claire Simon.

Es geht uns alle an

Ganz am Anfang tritt Simon selbst kurz auf, berichtet, wie sie zum Thema gekommen ist. Auch ganz am Ende ist sie wieder zu sehen, mit einer überraschenden neuen Information. Doch sie macht sich nicht selbst zum Thema des Films, zeigt vielmehr: Ich gehöre dazu. Was mit den Körpern von Personen mit gynäkologischen Problemen geschieht, geht uns alle etwas an.

Bemerkenswert ist dabei auch der Titel des Films: "Unser Körper" heißt er übersetzt. Nicht "Mein Körper", aber auch nicht "Unsere Körper". Von einem Körper ist die Rede, und zwar von unserem. Man darf davon ausgehen, dass Simon damit keineswegs die Selbstbestimmung der:des Einzelnen über den Körper in Frage stellen will. Vielmehr lässt er sich vielleicht so lesen, dass hier Ärzt:innen und andere sich gemeinsam mit den Patient:innen verantwortlich fühlen für das körperliche Wohlergehen. Ohnehin ist das französische Wort "corps" vieldeutiger: Neben "Körper" kann es auch "Kollegium" bedeuten. Und tatsächlich setzt Simon diesem medizinischen Kollegium mit ihrem außergewöhnlichen Film ein Denkmal. Der ist trotz einer Spielzeit von drei Stunden nicht eine Minute zu lang.

Beitrag von Fabian Wallmeier

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