rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 2. Tür: Pinsel der Geschichte

Sa. 02.12.23 | 06:00 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
rbb|24 Adventskalender Tür 2: Archäologie in Brandenburg (M. Behrendt/rbb)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders sandig. Kein Sommer vergeht, ohne dass unter Brandenburgs Archäologie-Zelten Zeugnisse untergegangener Siedlungen freigelegt werden. Doch das Finden ist nur das eine. Die schmutzige Beute muss auch erklärt werden.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Münzen, Gräber, Scherben - Ausgrabungsberichte riechen immer ein bisschen feucht. Nach dem Lesen will man sich die Hände waschen, was Frisches überziehen und den Sand unter den Fingernägeln hervorkratzen. Bilder von Ausgrabungsmeldungen zeigen meistens eine Professorin mit hochgebundenen Haaren in Outdoor-Bekleidung oder einen Professor Doktor mit Wanderschuhen und Rollkragenpullover.

Sie sind Experten und erklären, was da seit Jahrhunderten liegt und "zum großen Glück für die Geschichte nicht völlig vermodert" ist. Hinten im Bild, ganz klein und verschwommen zu sehen sind die Buddelhelfer, kniende oder hockende junge Menschen mit Basecaps und Pinseln in der Hand. Sie durchfegen damit die märkische Erde nach Schätzen. Was sie aber meistens nur finden, sind Scherben. Der Herr Professor Doktor ist damit trotzdem zufrieden. Er gibt die Interviews.

Grabungen und Präsentationen

Die Schulvokabel "Bodenschätze" bekommt bei Archäologen eine ganz neue Bedeutung. Sie schürfen in der Vergangenheit. Ihre Funde sind fast immer "spektakulär". Die Buddelbeute wird dann am Saisonende nach den monatelangen Buddelsessions nicht einfach nur fotografiert oder erklärt, nein: Sie wird "präsentiert" . Bei diesen Präsentationen kommen oft noch Pressesprecher und Lokalpolitiker zu Wort, die die Funde "Highlights" nennen. Die Archäologen sagen dann, dass die Scherben helfen, von nun an ein Stück des mittelalterlichen oder frühzeitlichen "Alltags wieder lebendig werden zu lassen". Archäologen sind Geschichtenerzähler. Da, wo eine Scherbe fehlt, setzten sie Worte in die Lücke.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Wertvoller denn je

Das Schöne an Ausgrabungen ist, dass hier Fakten ausgebuddelt werden. Überschriften von Ausgrabungsmeldungen sind immer Fakten. Archäologen brauchen keinen Konjunktiv. Die Toten können ihnen nicht widersprechen. Und die Einwürfe anderer sind leicht zu entkräften. Schließlich haben diese Kolleginnen und Kollegen ja nicht selbst die unwiderlegbaren Fakten im Sand gefunden, können also nicht mitreden.

Wenn aber ein Archäologe die sauber gepinselten Funde seiner Studentinnen und Helfershelfer partout nicht erklären kann, sind diese Teile umso wertvoller. Der Professor nennt sie dann "rätselhaft" und überantwortet sie den Wissenschaftskolleginnen und -kollegen in den Laboren, die diese dann "noch lange beschäftigen werden".

Rätselhaft und faszinierend

Brandenburg ist ein Archäologie-Eldorado, übertroffen nur noch von Sachsen-Anhalt, wo ständig Körper, älter als Jesus gefunden werden, oder von Berlin, wo gleich neben dem schicken BND-Gebäude ein urzeitliches Stück Berliner Mauer entdeckt wird, wo es niemand vermutete nach all der Zeit. Die märkische Erde ist eine Art Wüstensand, der fast von allein verschwindet, wenn die Studenten nur mit dem Pinsel winken.

Natürlich aber müssen all jene, die sich über die fleißigen Ausgräber lustig machen, zugeben, dass sie selber neugierig sind, dass sie es rätselhaft und faszinierend finden, wenn plötzlich so ein Outdoor-Professor das Modell der 3.000 Jahre alten "Halle des sagenumwobenen König Hinz" präsentiert, als gäbe es das Teil im Heimwerkermarkt. Er sagt damit: Ja, auch wenn diese, mit Absperrband markierten Gänge im märkischen Sand hinter mir nicht so aussehen: Der König Hinz oder einer seiner Vorgänger hatte es genau hier sehr gemütlich - und zwar auf doppelt so vielen Wohnquadratmetern, als man bislang eigentlich annahm. "Ein Rätsel ist gelöst", sagen wir schnell noch, bevor es der Professor tut. Und kurz danach merken wir, wie er uns plötzlich erscheint, der König Hinz.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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