rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 9. Tür: Einen übleren Nachbarn kann man kaum kriegen

Sa. 09.12.23 | 06:00 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
Weihnachtsmann taucht im Stechlinsee (Quelle: rbb/M. Behrendt)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders heimgesucht. Baden. Bootfahren. Am Ufer spazierengehen. Vieles kann man am See machen. Der Stechlinsee wurde zunächst bewundert, dann beschrieben und dann bestrahlt. Und jetzt? - Wird er repariert.

Dichter verleihen Landschaften so eine Art Ewigkeitsgarantie. Durch sie erhalten Bauten und Natur einen Geschichtsstempel, ein Siegel, dass sie unter Schutz stellt. Orte in Brandenburg können so etwa auf Heinrich von Kleist verweisen oder auf Hans Fallada. Theodor Fontane soll wohl demnächst aufs Wappen: Er hat die Mark Brandenburg bereist und beschrieben und fand dabei einen bestimmten See so gut, dass er ihm ein Dorf andichtete und über dieses Dorf einen Roman schrieb: den Stechlinsee.

Der See ist groß und klar und tief umwaldet, er ist eine Art Garten Eden. Seine Wässer sind die Tiefsten in ganz Brandenburg und Naturkundler prahlen mit vielen Pflanzen und Tieren, die nur hier vorkommen. Ein Paradies könnte dieser See sein, hätte er nicht seit einigen Jahren einen ganz üblen Nachbarn.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Redakteur Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Ein Lehr- und Versuchskraftwerk

1960 scherten sich die Wirtschaftsplaner der DDR kaum um Brandenburgs Geschichtsstempel. Fontane hatte keine energiepolitische Bedeutung, und der Stechlinsee wurde aus dieser Ignoranz zum Kühlwasser-Abfluss für das erste kommerziell arbeitende Atomkraftwerk der DDR: das KKW Rheinsberg.

Der Meiler war ein Sündenfall, der in der Sowjetunion projektiert und im sächsischen Rossendorf erprobt worden war. "Lehr- und Versuchskraftwerk" überschrieb die DDR dieses KKW, weil nach seinem Vorbild Dutzende weitere Atomkraftwerke DDR-weit entstehen und das Land versorgen sollten.

Die Wende aber funkte den ostdeutschen Atomplänen dazwischen. Mit dem Ende der DDR und damit rund 30 Jahre nach der Grundsteinlegung für den Meiler wurde das KKW Rheinsberg abgeschaltet und runtergefahren.

Mit dem Abbau kamen Wissenschaftler, die im See ihre Forschungsfühler aktivierten, die verglichen und bewerteten und die mit den Ergebnissen vorsichtig andeuten: Wiedergutmachen und Wiederherstellen der lyrischen Ursprünglichkeit ist schwer und wird brauchen.

Rückbau länger als Nutzung

Länger als die einstige KKW-Nutzung von rund 25 Jahren dauert nun schon der Abbau und wird voraussichtlich weitere Jahrzehnte brauchen. Die Wissenschaftler des Seelabors des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei beforschen den See. Ihre Langzeitmessungen zeigen, dass sich der ökologische Zustand des Stechlins "gravierend und zunehmend schnell verschlechtert". "Dramatisch" nennen die Experten die Veränderungen der Ökologie des Sees, der sich erheblich erwärmt, bei dem sie eine "problematisch hohe Algenproduktion" feststellten. Und all das, obwohl er weder an Agrarflächen noch an größere Siedlungsgebiete grenzt.

Nein, es ist nicht nur die atomare Nachbarschaft, die den See gefährdet, denn die Leibniz-Wissenschaftler zählen viele weitere Gründe auf für die alarmierenden Veränderungen, nicht zuletzt auch den Klimawandel.

Laut, sehr laut warnen die Wissenschaftler. Und sie fordern. Kucken und schön finden und drüber schreiben, reicht nicht mehr, um den Stechlin zu retten.

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Beitrag von Stefan Ruwoldt

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